Dienstag, Oktober 12, 2010

Aufstand 2.0 – Bürger gegen Fluglärm

Der Bürgerprotest in Deutschland bei Großvorhaben geht in die nächste Runde. Nachdem in den letzten Wochen kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über das Stuttgarter Dilemma „S21“ berichtet wird, regt sich in Berlin die nächste Protestbewegung. Die neuen Flugrouten des sich gerade in Bau befindenden Flughafens BBI, sorgen für Enttäuschung und Unverständnis bei vielen Berliner Bürgern.

Man muss zwar vorsichtig mit Vergleichen sein, vor allem nachdem sich die Lage in Stuttgart weiter zuspitzt und nun auch der Bund sich dem Thema angenommen hat, jedoch sind erstaunliche Parallelen zwischen den beiden Bürgerprotesten zu erkennen.
Am 6. September stellte die deutsche Flugsicherung (DFS) die neuen Flugrouten über Berlin vor und zeigte ähnlich wie in Stuttgart, ein Beispiel mangelnder und schlechter Kommunikation. Ohne Absprache mit Politik, Kommunen und Bürger, wurden die alten Routen verändert und die neuen, welche nun verstärkt über die Berliner Stadtteile führen, als endgültig präsentiert. Die Ausgrenzung der Bürger vom Entscheidungsprozess könnte sich nun als schwerwiegender Fehler herausstellen.

Angeführt von der Politologin Marela Bone-Winkel und Rechtsanwalt Mathias Hellriegel, wurde nach kurzer Absprache in der Nachbarschaft eine Webseite aufgebaut, ein Logo entworfen und schon hatte man eine überregionale und überparteilichen Protestbewegung ins Leben gerufen. Die Schnelligkeit und Professionalität hat die Initiatoren selbst überrascht.

Die Anhänger der Initiative fühlen sich getäuscht, da der neue Flughafen eigentlich dafür geplant war, den Flugverkehr über Berlin zu verringern. Viele kauften auch Grundstücke in den betroffenen Regionen im Glauben daran, dort vom Fluglärm nicht berührt zu werden.

Der Protest ist mittlerweile praktisch föderal aufgebaut und hat damit einen erstaunlichen Grad der Organisation erreicht. Viele der betroffenen Städte und Gemeinden haben eigene Plattformen aufgebaut (z.B. www.teltowgegenfluglaerm.de), um Ihren Protest zu organisieren und um ihre Anwohner über die Situation an Ihrem Wohnsitz zu informieren.
Diese kollaborieren mit der überregionalen Hauptplattform www.kfberlin.de, die einen allgemeinen Protest der Betroffenen gegen die Flugrouten vorantreibt.

Auf der Internetseite: „Keine Flugrouten über Berlin“, können Unterschriften gegen die neuen Routen abgegeben werden. Die Sammlung erfolgt virtuell, wobei noch nicht geklärt ist, ob diese Art der Sammlung auch gerichtlich anerkannt wird. Zeitgleich sind daher Unterschriftenlisten auch auf dem üblichen Wege im Umlauf. Die Initiative findet viele Zuhörer, schon innerhalb der ersten zehn Tage hatte sie über 10 000 Besucher. Über die Internetplattformen Twitter und Facebook werden täglich aktuelle Nachrichten eingestellt, um die Mitstreiter im Kampf gegen die Flugrouten auf dem neusten Stand zu halten.
Ohne die neuen Medien und das „Mitmachweb 2.0“ wäre dieser Prozess kaum vorstellbar, vor allem wenn man berücksichtigt, wie schnell und mit welchem geringen Aufwand diese Protestbewegung ins Leben gerufen wurde.
Die Zeit drängt für die Initiative, da die Flugrouten bereits beschlossen sind und eine neue Debatte eigentlich nicht mehr vorgesehen ist. Aber mit Stuttgart im Hinterkopf, wollen die Bürger ihren Unmut über die mangelnde Beteiligung und schlechte Kommunikation kundgeben und möglichst eine Änderung herbeiführen.

Weblinks für Bürgerproteste gegen Flugrouten:
http://www.wegmitflugrouten-kleinmachnow.de/
http://www.fluglaerm-lichtenrade.de/
http://www.teltowgegenfluglaerm.de/
http://www.kfberlin.de

Wirtschaftsförderung 2.0 - Session beim Government 2.0 Camp in Berlin

Am 1. Oktober fanden auf dem zweiten Government 2.0 Camp in Berlin wieder mehrere interessante Sessions rund um das Thema eGovernment statt. Die Teilnehmer konnten spontan eigene Sessions anbieten oder sich entsprechend ihres persönlichen Interesses aus der Fülle des Angebots wählen. Zudem war ihnen freigestellt, sich frei zwischen den Sessions bewegen. In einer der ersten Sessions wurde unter der Leitung von Franz-Reinhard Habbel (DStGB) und Andreas Huber (Public One) der moderne Wirtschaftsförderungsasatz „Wirtschaftsförderung 2.0“ diskutiert. Das Konzept stieß auf das Interesse einer breiten Teilnehmerschaft aus Wirtschaft und Verwaltung, die rege ihre Meinungen und Ideen austauschten.

Virtualisierung der Unternehmen
Die Wirtschaft vollzieht im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Prozesse in und um Unternehmen einen grundlegenden Wandel. Die Wertschöpfungszuwächse und somit das Wirtschaftswachstum basieren durch die Digitalisierung der Unternehmen immer häufiger auf immateriellen Wertschöpfungsprozessen. Für die Wirtschaftsförderung bedeutet dies einen Paradigmenwechsel, da immaterielle Prozesse in zunehmend virtuellen Unternehmen stattfinden, die keine Verortung in der Realität – also z.B. in den Kommunen – finden. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden muss daher ein Umdenken in der Verwaltung stattfinden, um den daraus resultierenden veränderten Aufgaben gerecht zu werden und eine effiziente Förderung der Wirtschaft zu gewährleisten. Wie neue Herangehensweisen aussehen könnten und wo die Probleme liegen, wurde von der Runde kontrovers diskutiert.

Kontinuität der Verwaltungskontakte erhöhen
Verwaltungen und Unternehmen funktionieren nach wie vor nicht nach 2.0 Prinzipien. Sie agieren noch zu stark isoliert voneinander.Die neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Kollaboration werden noch nicht annähernd genutzt. Insbesondere findet oftmals nach wie vor eine punktuelle, problembezogene Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung statt. Eine 2.0 Welt fordert jedoch ständigen Kontakt „in guten wie in schlechten Tagen“, wie es eine Teilnehmerin formulierte. Die Kontinuität der Kontakte zwischen Verwaltung und Unternehmen muss in der Welt zunehmender Kommunikation weiter erhöht werden, um einander besser kennen zu lernen und sich effizienter auszutauschen.

Alle Teilnehmer waren sich einig, dass dies ein kulturelles Problem darstellt und es mutiger Vordenker bedarf, um eine Veränderung herbeizuführen. Fortschritt muss vom schnellsten ausgehen; erst dann können die anderen in der Kolonne folgen, so der Konsens. Dafür müssen starre Hierarchien abgebaut sowie treibende Kräfte identifiziert, vernetzt und unterstützt werden. Dazu könnten Kommunen verstärkt soziale Netzwerke nutzen, in denen Unternehmen bereits aktiv sind (z.B. Xing,). Die Teilnehmer stimmten überein, dass dies besser sei, als eigene Communities aufzubauen.

Entscheidungsfähigkeit erhöhen – Trendzahlen einführen
Ein Bestandteil der notwendigen kulturellen Veränderung in der Verwaltung, könnte eine stärkere Orientierung an Trendzahlen in Entscheidungssituationen sein. Es würde die Verwaltung deutlich handlungsfähiger machen, wenn sie anhand von „unscharf“ deklarierten Zahlen Entscheidungskorridore festlegen könnte. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es oft viel zu lange dauert, Zahlen vollständig zu erheben, um noch entsprechende Entscheidungen treffen zu können. Ein in der Session genanntes Beispiel war der Fall einer Naturkatastrophe, in der schnelles Handeln aufgrund eines groben Überblicks sinnvoller erscheint als eine verspätete Handlung aufgrund einer genauen Informationssicherstellung. Selbstverständlich sind auch weiterhin genaue Daten notwendig und erforderlich, wenn es um konkretes Verwaltungshandeln geht – jedoch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit in der konkreten Entscheidungssituation.

Social Media Guidelines: Richtlinie für die Verwaltungskommunikation im Netz
Auf ein weiteres Problem wies ein Teilnehmer aus Wien hin. In der Verwaltung, aber auch in den meisten Unternehmen sind die Rollenverständnisse noch nicht klar genug abgesteckt. Oft wissen die Beteiligten erst gar nicht, wie sie miteinander kommunizieren sollen bzw. können. Es fehlt die Basis für eine gemeinsame Zusammenarbeit, sowohl online wie auch offline. So plant die Stadt Wien, Social Media Guidelines einzuführen, in denen Rollenmodelle, Kompetenzen und Verhaltensregeln für eine Online-Zusammenarbeit genauer abgesteckt werden. Dieser Leitfaden soll den Akteuren insbesondere mehr Sicherheit im Umgang mit Kommunikation im Social Media-Umfeld geben.

Zum Ende der Session wiesen die Beteiligten nochmals auf die Dringlichkeit der notwendigen Veränderungen hin. Der Druck auf die Verwaltung nimmt ständig zu und nicht-öffentlich organisierte Communities machen der öffentlichen Wirtschaftsförderung immer mehr Konkurrenz. Diese könnten deren Funktion auf Dauer sogar ersetzen.

Neue Kommunikationskultur erforderlich
Die bestehende Wirtschaftförderung auf 2.0 umzustellen, heißt eine neue Kommunikationskultur zu etablieren, in der jeder mit jedem kommuniziert. Es braucht Ideenwettbewerbe, um bedarfsgerechte Konzepte für die Wirtschaftsförderung zu entwickeln und ein Monitoring um die Bedürfnisse zu identifizieren.

Die Session und das gesamte Government 2.0 Camp war für alle Beteiligten ein spannender und sehr interessanter Austausch von Ideen und Konzepten. Es wurde konstruktiv miteinander diskutiert. Insbesondere beeindruckte die Grundhaltung der Teilnehmer, nicht zu problematisieren, sondern statt dessen Lösungen zu finden.

Es hat sich jedoch gezeigt, dass es noch ein langer Weg ist und viele Dinge erst noch angestoßen werden müssen, bevor man die neuen Aufgaben lösen und die Potenziale des Web 2.0 gemeinsam nutzen kann. (Maximilian Weinert)