Sonntag, Februar 21, 2010

„Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone“- Immer mehr Kommunen fordern einen Rettungsschirm

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund machte in seiner Jahresbilanzpressekonferenz Anfang Januar den Aufschlag. Angesichts eines bis zum Jahr 2013 zu erwartenden Defizits von fast 50 Milliarden Euro in den kommunalen Kassen forderte der Verband den Bund auf, einen Rettungsschirm für Städte und Gemeinden aufzuspannen, der die Investitionskraft der Kommunen stärkt, Wachstum ermöglicht und ihre Handlungsfähigkeit sichert. Immer mehr Kommunen in Deutschland schließen sich inzwischen dieser Forderung an.

Die Sorge um die schlechte Finanzlage der Kommunen wird aber auch von Bürgern, Politikern und Medien geteilt. In Bochum gab es vor wenigen Tagen die erste Montagsdemonstration von Bürgerinnen und Bürgern gegen den Verfall öffentlicher städtischer Einrichtungen wie Schulen, Theater und Schwimmbäder. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kündigte jüngst das Veto seines Landes gegen die von der Bundesregierung geplante Steuerreform an, wenn diese zu einer weiteren Belastung der Kommune führe. NRW werde keiner Steuersenkung zustimmen, „die dazu führt, dass in unseren Städten und Gemeinden Theater und Schwimmbäder geschlossen werden müssen“. Rüttgers weiter: „Ich werde es auch nicht zulassen, dass der Ausbau von Kindergärten ins Stocken gerät“.

In einer aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages forderte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ebenfalls einen Rettungsschirm für Kommunen. Die Lage sei dramatisch. „Wenn das so weitergeht, werden die Pfeiler des Zusammenlebens in den Städten einstürzen“, folgerte er.

Berliner-Radiosender informieren die Hörer nach den Nachrichten nicht mehr über Standorte sogenannter „Blitzgeräte“, sondern über tiefe Schlaglöcher in den Straßen der Hauptstadt.

Immer mehr Städte, Gemeinden und Kreise machen mobil. „Wir brauchen einen Rettungsschirm und ein kommunales Konsolidierungspaket, so wie es die kommunalen Spitzenverbände fordern. Anders ist das alles nicht mehr zu stemmen“, sagte die Gütersloher Bürgermeisterin Maria Unger, die zusammen mit rund 200 Bürgermeistern und Ratsvertretern aus Ost-Westfalen-Lippe im Rahmen einer Veranstaltung des Städte- und Gemeindebundes NRW die finanzielle Situation der Kommunen diskutierte.

Der Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius forderte in einem Pressegespräch die neue Bundesregierung auf, dass sie, so wie die alte Regierung einen Rettungsschirm für systemrelevante Unternehmen und Banken beschlossen hat, einen Rettungsschirm für die Kommunen beschließt. „Die Kommunen sind insofern systemrelevant, als sie die Lebensbedingungen der Menschen organisieren. Ihre Finanzausstattung muss auf eine neue Basis gestellt werden“, forderte er weiter. Die Verwaltung in Osnabrück rechnet mit einem strukturellen Defizit für das kommende Jahr in Höhe von 50 Millionen Euro.

Auch in Reutlingen forderte Oberbürgermeisterin Barbara Bosch einen Rettungsschirm für Kommunen. Nicht 2010 sondern erst das Jahr 2011 werde die große Herausforderung sein, betonte die Rathauschefin bei der Vorstellung eines Nachtragshaushalts im Gemeinderat. Bis 2013 fehlen Reutlingen Einnahmen von 100 Millionen Euro. "Wenn bei den Landesbanken Bad Banks möglich sind, in welche Schulden überführt werden sollen, warum nicht dann auch für die Kommunen?", lautete ihre Frage. Auf der Ausgabenseite in Reutlingen soll die Altstadtreinigung an Wochenenden zurückgefahren, die Straßenbeleuchtung nicht mehr nur mit Ökostrom versorgt werden, die Lehr- und Lernmitteletats an Schulen werden nicht erhöht, Buslinien werden ausgedünnt, die Zuschüsse an die Württembergische Philharmonie, an das Landestheater, an das Theater Tonne und die Volkshochschule werden gekürzt. Die Finanzsorgen teilt Reutlingen mit nahezu allen anderen Städten und Gemeinden in Deutschland.

So fordert auch Eschweiler einen Rettungsschirm. Die Stadt verliert Millionen bei der Gewerbesteuer und befürchtet einen drastischen Anstieg der Sozialausgaben. Insbesondere das Jahr 2010 könnte dramatisch werden, wenn die Arbeitslosenzahlen und die Zahl der Hartz-IV-Empfänger steigen. „Wir haben dann die Mehrausgaben. Das kann eine Kommune nicht mehr kompensieren“, warnt Bürgermeister Rudi Bertram. Und weiter: „Wir haben einen Rettungsschirm für Banken. Wir haben einen Rettungsschirm für Unternehmen. Wir brauchen einen Rettungsschirm für Kommunen.“ Denn sie seien schließlich die Investoren vor Ort.

In einer Resolution hat der Kreistag in Trier den Bund und das Land Rheinland-Pfalz aufgefordert, die Kommunen und Kreise mit einem „staatlichen Rettungsschirm als Sofortprogramm“ fianziell besser auszustatten. Die Haushaltslage habe sich dramatisch verschlechtert, heißt es im Onlinedienst von volksfreund.de.

Im Saarland griff der Sankt Ingberter Oberbürgermeister Georg Jung in seiner Neujahransprache die Forderung nach einem Rettungsschirm auf. Notwendig seien kurzfristige Überbrückungshilfen für mindestens zwei Jahre, damit Städte und Gemeinden im Interesse von Staat und Gesellschaft handlungsfähig bleiben. Und wir brauchen ein dauerhaftes Konzept, das die Finanzierung der gesetzlichen Aufgaben der Kommunen ohne immer neue Schulden sichert. Dazu gehört auch eine starke Gewerbesteuer.

In seiner Etatrede vom 9. Dezember 2009 ging der Grevener Bürgermeister Peter Vennemeyer auch auf die Finanzkrise ein. „Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone, größere Einsparpotenziale sind nicht darstellbar“, heißt es im Redemanuskript. Auch er fordert einen Rettungsschirm. Weiter heißt es: „Ich untertreibe gewiss nicht, wenn ich sage, dass die kommunale Selbstverwaltung in akuter Gefährdung steht. Wir werden unsere Aufgabe nicht mehr im gewohnten Umfang und der erforderlichen Qualität erfüllen können“.
Auf der Homepage www.besser-fuer-steinhagen.de unterstützt der Steinhagener Bürgermeister Klaus Besser die Forderung des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier nach einem Rettungsschirm für Kommunen.

Neben dem DStGB schlägt auch der Deutsche Städtetag wegen der dramatischen Finanzlage Alarm. Durch die verschlechterte Finanzlage sei mittlerweile sogar die im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltung in Gefahr, sagte die Städtetagspräsidentin, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund Hagen hält ebenfalls einen Rettungsschirm für die Städte und Gemeinden für notwendig. Er sieht sich durch die Resolution des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom 1. Dezember 2009 bestätigt. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Gewerkschaften einen Rettungsschirm vom damaligen Finanzminister Peer Steinbrück mit Nachdruck und der Übergabe eines symbolischen Schirms eingefordert.

Erst wenn das letzte Theaterlicht gelöscht, der letzte Jugendtreff geschlossen und die letzte Turnhalle vergammelt ist, werden die Regierenden in Berlin merken, dass man Steuersenkungen nicht auf Kosten der Kommunen machen kann“, hießt es im Wittlager Kreisblatt vom 16.12.2009. Recht hat der Journalist.

Sonntag, Februar 07, 2010

Eine neue IT-Dekade liegt vor uns

Blicken wir zehn Jahre zurück. Im Jahr 2000 dümpelte das Internet vor sich hin. Übertragungsraten mit einem Modem von 9.600 Baud waren bereits schnell. Google spielte so gut wie keine Rolle. Die Zahl der Personalcomputer übertraf die der Laptops bei weitem. UMTS war ein Fremdwort, es gab keine Smartphones. Menschen konnten nicht in Wikipedia das Wissen der Welt durchforsten. IPhone und Twitter waren noch kein Thema. Apple war ein klassisches IT-Unternehmen, von Musik und Telefonie keine Spur.

Zehn Jahre später zu Beginn des Jahres 2010 ist die Informationstechnologie (IT) in allen Industriestaaten zur Normalität geworden. So selbstverständlich wie wir Wasser konsumieren und Elektrizität verbrauchen, nutzen wir den Datenstrom im weltweiten Internet wo immer wir uns an welchem Ort zu welcher Zeit auch befinden. 1, 7 Milliarden Menschen nutzen das Internet, in fünf Jahren kommt eine weitere Milliarde hinzu.

Die vor uns liegende Dekade 2010 bis 2020 wird Anwendungen bringen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Realität und Virtualität wachsen weiter zusammen und um uns herum entsteht ein einziger Datenraum, so zusagen ein zweite Haut mit Kontakten zu anderen Menschen, Einrichtungen und Objekten. Die IT wird zur tragenden Säule jeglicher Infrastruktur. Neue Unternehmen mit neuen Diensten folgen auf Microsoft, Google, Twitter und Co. Schon heute zeichnen sich am Horizont neue Services ab, die Personen, Standorte und Themen unmittelbar und individuell miteinander verknüpfen. Google-Syncronity heißt eine neue Philosophie, verschiedene Datenbestände auf unterschiedlichen Servern zusammen zu spielen und damit zu integrierten Informationen zu kommen. Echtzeitinternet und Cloudcomputing verstärken die Mobilität und machen Wissen allgegenwärtig und umfassend verfügbar. Menschen werden als Träger von Wissen anderen Menschen ihr Wissen verfügbar machen (dynamisches Wikipedia). Wissen kann in digitalen Netzwerken sogar völlig neu und frei generiert werden. Die Technologie wächst nicht linear, sie wird Sprünge machen und damit unseren Kindern und Enkel völlig neue Möglichkeiten bieten.

Zu Beginn der vor uns liegenden neuen Dekade stehen wir allerdings vor grundlegenden Herausforderungen, die sich in dieser Deutlichkeit und Wirkung bis 2000 nicht stellten. Werden die Menschen der neuen Infrastruktur mit ihren neuen in der Regel personalisierten Diensten überhaupt vertrauen? Wie werden Freiheit und Sicherheit in der fortschreitenden Informationsgesellschaft ausbalanciert? Welche Persönlichkeitsrechte hat der Einzelne und wie kann er sie in einer global vernetzten Welt durchsetzen? Datenschutz und Datensicherheit müssen im Konsens mit Politik und Bürgern weiter entwickelt werden. Auch die Politik ist gefordert. Eine Netzpolitik ist von Nöten. Dies wird eine zentrale Aufgabe der Regierung in den nächsten Jahren sein. Damit werden sich die Aufgaben des Staates wandeln. Als Gewährleistungsstaat wird er für Vertrauen und Sicherheit in der elektronischen Kommunikation sorgen müssen. So wie Stadtwerke heute sauberes Wasser den Bürgern garantieren (oftmals auch durch private Akteure), so muss in Zukunft der Staat auch virenfreie Datenströme sicherstellen. Informationsgesellschaften verlangen nach einer neuen staatlichen Statik und Architektur. Mit zunehmender Digitalisierung entstehen aber auch neue Verwundbarkeiten. Deshalb ist es notwendig, dass sich staatliche Einrichtungen auch intensiv mit solchen Sicherheitsproblemen auseinandersetzen und Lösungen finden. In den kommenden zehn Jahren wird IT die internationale Zusammenarbeit der Staaten und der Unternehmen massiv beeinflussen.

Auch die Kommunen werden besonders gefordert sein. E-Government wird in Smart-City Dienste integriert werden. Diese Dienste umfassen alle Bereiche einer Kommune von der Bildung über den Arbeitsmarkt, Gesundheit, Sicherheit, Mobilität bis hin zur Freizeit. Von allen öffentlichen Institutionen in Deutschland vertrauen die Bürgerinnen und Bürgern am meisten ihrer Stadtverwaltung bzw. Ihrem Bürgermeister. Das wird in der Informationsgesellschaft nicht anders sein. Die damit verbundenen Anforderungen müssen von den Kommunen auch eingelöst werden.

Wie verwundbar Wirtschaft und Gesellschaft bereits heute durch die Informationstechnologie geworden ist, zeigen aktuelle Beispiele. Durch einen Softwarefehler gab es zum Jahreswechsel 2009/2010 massive Probleme bei rund 30 Millionen EC- und Kreditkarten. Das Krisenmanagement der Banken war nicht besonders erfolgreich und hat das Vertrauen in die Informationsgesellschaft nicht gerade gestärkt.